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Schenkt man den bekannten Stadtchronisten Glauben, so entstand die spätere Stadt Schüttorf rund um eine kleine Kapelle, die auf Hummerts Kalverkamp (Kälberweide) gestanden haben soll. Sie soll um das Jahr 800 erbaut worden sein. Knapp 300 Jahre später ist sie dann durch einen Umbau zur Kirche erweitert worden. Um das Jahr 1000 herum wurde sie dem heiligen Laurentius geweiht. Danach verlieren sich ihre historischen Spuren. Es ist davon auszugehen, dass sie spätestens im 15. Jahrhundert mit dem ersten Bauabschnitt der neuen, großen Kirche, die ebenfalls dem hl. Laurentius geweiht war, aufgegeben und dann abgerissen wurde.

Doch nun zur Geschichte der Bauernfamilie Hummert. Als Kaiser Karl der Große (747- 814) die heidnischen Sachsen endgültig besiegte, wollte er die Christianisierung der Sachsen mit aller Kraft vorantreiben. Die Sachsen hatten sich Jahrhunderte lang geweigert, einen neuen Glauben anzunehmen. Und selbst der Übertritt ihrer Stammesfürsten zum christlichen Glauben hielt viele nicht davon ab, weiterhin ihre traditionellen Gottheiten zu verehren.

Um dem entgegen zu wirken und auch den Anteil der kaisertreuen unter den Einheimischen zu erhöhen, ließ Kaiser Karl zahlreiche christliche Bauern aus dem Gebiet um Calais und Boulogne in Frankreich in die Gegend um Schüttorf herum ansiedeln. Viele der Menschen, die sich damals aus Frankreich hier niederließen, hatten Namen, die von ihren Herkunftsorten abgeleitet wurden. So zum Beispiel Hermeling von Hermelinghen, Wanning von Maninghen oder Hummert von Humbert.

DER ALTE HOF HUMMERT LAG AN DER STEINSTRASSE

Eben dieser Humbert erhielt lange vor der Stadtgründung von seinem Lehnsherren einen Bauernhof zur Pacht, dessen Hofgebäude wohl in der Nähe der Steinstraße standen. Aus alten Kirchenakten wissen wir, dass spätestens ab dem 16. Jahrhundert der Hummert Hof am Kirchhof der Laurentius-Kirche gelegen haben muss. Noch heute ist dort ein alter Speicher zu sehen, der später auf der Hofstelle Humbert errichtet wurde. Es kann aber durchaus sein, dass im Laufe der Jahre der Hummert Hof auch an anderer Stelle in Schüttorf gelegen haben kann. So verortet sie z.B. Maschmeyer etwas weiter südlich, etwa dort, wo später der Bäcker Schevel sein Anwesen hatte. Vor der eigentlichen Stadtgründung im Jahr 1295 lag die Hofstelle außerhalb der ersten Befestigung, die vor allem das Gebiet um den heutigen Marktplatz herum umfasste.

Lageplan

Lageplan der Hofstelle Hummert im alten Schüttorf vor der Stadtgründung.

EINER DER GRÖSSTEN HÖFE IM KIRCHSPIEL SCHÜTTORF

Zum Bauernhof Humbert gehörte aber nicht nur die flächenmäßig relativ kleine Hofstelle in Schüttorf, sondern vor allem größere Ländereien im Weichbild der Stadt Schüttorf sowie in den umliegenden Dorfgemeinden. So umfasste der Hof neben Acker- und Grünland auch ausgedehnte Nutzungsrechte  an Heide, Weide und Plaggen in den Marken von Drievorden, Quendorf und Suddendorf. Damit zählte der Hof Humbert zu einem der größten im Schüttorfer Kirchspiel und wahrscheinlich auch zu einem der ältesten. Mitte des 17. Jahrhunderts wurde die Größe des Humbert Hofes mit 23 Müdden (ca. 7 ha) Ackerland, 3 Tagewerke Heuland sowie 2 Kuhweiden angegeben. Hinzu kamen noch die Ländereien, die nur sehr eingeschränkt landwirtschaftlich genutzt werden konnten.

BÜRGER UND EIGENBEHÖRIGER ZUGLEICH

Nachdem Schüttorf 1295 die Stadtrechte erhielt und sich durch die Errichtung der Stadtbefestigung weiter ausdehnte, lag der Humbert Hof mitten in der Stadt. Der Bauer Humbert wurde so zum Bürger der jungen Stadt Schüttorf. Aber zu einem besonderen Bürger. Denn er war gleichzeitig auch ein Eigenbehöriger des Klosters Wietmarschen. Das Kloster Wietmarschen wurde 1152  gegründet und trug damals den Namen „Sünte Marienrode“. Es gehörte zum Bistum Münster. 1675 wurde dieses Kloster, das sowohl von Mönchen wie von Nonnen bewohnt war, in ein „Hochadelig-freiweltliches Damenstift“ umgewandelt.

Im Jahr 1313 vermachte der damalige Besitzer den Hof Humbert eben diesem Kloster in Wietmarschen. Mit der Schenkung des Grundbesitzes ging auch die Hörigkeit des Bauern Humbert auf das Kloster über. So genoss der Bauer Humbert nicht nur die Rechte eines Bürgers der Stadt Schüttorf, sondern hatte gleichzeitig neben den Bürgerpflichten wie Steuern und Kontributionen auch Abgaben an das Kloster Wietmarschen zu leisten. Und die waren nicht gering. Der Humbert Hof hatte einer alten Urbar zufolge jährlich 1/4 seiner Getreideernte an das Kloster Wietmarschen abzuliefern.

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Der alte Speicher, der heute noch im Hof des Hauses Steinstraße 11 steht, soll dem Vernehmen nach zur früheren Hofstelle der Bauern Humbers in Schüttorf gehört haben.

EIN HOF MIT OFTMALS HOHEN SCHULDEN

Die Sonderstellung des Bauern Humbert als Bürger und Eigenbehöriger führte auch zu einer hohen Belastung, die der Bauer Humbert zu tragen hatte. Ebenso die zahlreichen Kriege, insbesondere der 80-jährige Krieg zwischen Spanien und den Niederlanden sowie der 30-jährige Krieg, und nicht zu vergessen die Pestausbrüche in den Jahren 1579 bis 1583 hinterließen deutliche Spuren. Nicht selten. Mehrfach wurde damals von fremden Truppen in der Stadt Schüttorf geplündert und gebrandschatzt. Das hatte auch Folgen für die wirtschaftliche Lage des Humbert Hofes. Nicht immer waren die Bauern Humbert – wie andere Bürger auch –  in der Lage, ihre Abgaben an ihren Lehnsherren oder die Stadt Schüttorf zu zahlen. Aus alten Urkunden wissen wir, dass die Humberts immer wieder einige Flächen ihres Hoflandes verkaufen oder versetzen mussten, um ihre Schulden zu bezahlen. So beklagte 1652 das Kloster Wietmarschen, dass „unser Meyer Humbert in die Statt Schuttorpe belegen unß uber die hundert Mudde Gersten von restlrenden Pfachten schuldigh“ geblieben sei. Auch habe der Humbert „seine Landereyen alle oder mehrentheilß“ an Schüttorfer Bürger versetzt, ohne dass das Kloster davon wusste oder gar seine Zustimmung dafür erteilt habe. Auch der Rat der Stadt Schüttorf machte in diesem Zusammenhang deutlich, dass der Humbert Hof noch erhebliche Kontributionen an die Stadt zu zahlen hatte.

SCHULDEN FÜR DIE ZUKUNFT DER KINDER

Hinzu kam, dass das Hoferbe nur an einen erbberechtigten Sohn weitergegeben werden durfte. Die anderen Kinder der Bauern Humbert konnten hingegen als Eigenbehörige zu Gesindezwangsdienst bei ihrem Lehnsherren herangezogen werden. Um ihnen dieses Los zu ersparen, haben die Bauern Humbert so oft es ging, ihre nicht erbberechtigten Kinder aus der Eigenbehörigkeit herausgekauft und ihnen ein Wohnhaus in der Stadt errichtet. Diese Kinder wurden dann „vollwertige“ Bürger der Stadt Schüttorf. Konnten die Bauern Humbert das Geld für den Freikauf nicht allein durch den Ernteertrag erwirtschaften, haben sich bei vermögenderen Bürgern Schüttorfs Geld geliehen. Dafür wurde auch immer wieder so manches Stück Land versetzt oder verbürgt
Es war zur damaligen Zeit nicht unüblich, dass Eigenbehörige Teile ihrer Ländereien an andere Bauern oder Bürger verkauften oder versetzten. Der Käufer hatte dann für diese Ländereien die gleichen Abgaben an den Hofherren zu leisten. Ob die Abgaben des „Vorbesitzers“ entsprechenden gekürzt wurden, ist nicht für jeden Fall belegt.

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Teile der 1793 gebauten Hofgebäude des Humbert Hofes in Suddendorf stehen heute noch auf der alten Hofstelle. Im Laufe der Jahrzehnte wurden sowohl die Wohn- als auch die Wirtschaftsgebäude ständig erweitert.

DAS STIFT WIETMARSCHEN BESCHLOSS, DEN HOF AUSZUSIEDELN

Obgleich dem Humbert Hof immer wieder Teile seine Schulden vom Kloster und der Stadt erlassen wurden, kam der Hof nicht so richtig auf einen grünen Zweig. Weiterhin musste der Humbert Hof Teile seiner Ländereien versetzen oder sogar verkaufen. Das Kloster Wietmarschen versuchte zwar, diese Ländereien wieder zurückzukaufen, was aber nur von mäßigem Erfolg gekrönt war. Im Laufe der Jahre verlor der Hof Humbert auf diese Weise nicht wenige seiner Ländereien, was sich natürlich auch auf seine Wirtschaftlichkeit niederschlug. So verfielen auch die Hofgebäude in der Stadt zusehends. Deshalb entschloss sich das Damenstift Wietmarschen Ende des 18. Jahrhunderts dazu, das alte Hofgebäude in Schüttorf abzureißen und dafür ein reines Wohnhaus zu errichten. Das Hofgebäude selber sollte außerhalb der Stadtmauern mitten auf den verbliebenen Ländereien des Humbert Hofes in Suddendorf neu errichtet werden.

1796 ZOG DIRK HUMBERS NACH SUDDENDORF

So begann 1793 der Bauer Dirk Humbers Teile seine Hofgebäude in Schüttorf abzureißen und das brauchbare Abrissmaterials für den Neubau seines Hofes nach Suddendorf zu transportieren. Das  stieß aber den Widerspruch des Schüttorfer Rates, der den Abriss umgehend stoppen wollte. Erst als das Damenstift Wietmarschen sich verpflichtete, anstelle der abgerissenen Gebäude in Schüttorf ein neues Wohnhaus bauen zu lassen, konnte der Abriss weitergehen. 1796 war das neue Hofgebäude der Humbers in Suddendorf fertig gestellt. Genau an der Stelle, wo heute noch der Hummert Hof an der Ohner Straße steht.

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Der Hof Hummert in den 1950er Jahren. Hinten rechts ist der älteste Teil des Hofes aus dem Jahr 1793 zu erkennen.

DIE SCHÜTTORFER HOFSTELLE GING AN DIE FAMILIE ROST

Es ist davon auszugehen, dass in das neue Wohnhaus auf der ehemaligen Hofstelle Humbers in Schüttorf ebenfalls ein Mitglied der Familie Humbers einzog. So heiratete die Tochter Anna Elisabeth Humbers den Johannes Dietrich te Gempt. Deren Tochter Christina Johanna te Gempt wurde 1832 in Schüttorf mit Bernhard Rost vermählt. Die Familie Rost bewohnte ab Mitte des 19. Jahrhunderts das Haus an der Steinstraße, in dessen Garten heute noch der alte Speicher der Hofstelle Hummert steht.

LANDBAUER UND STADTBÜRGER

Mit dem Auszug des Bauern Hummert aus der Stadt Schüttorf ergab sich erneut eine kuriose Situation. Denn eigentlich verlor Hummert mit dem Auszug aus Schüttorf ja auch seine Bürgerrechte. Da es aber immer noch Forderungen der Stadt an den Hummert Hof gab, wollte ihn die Stadt nicht aus dem Bürgerverhältnis entlassen. So kam es dazu, dass es zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen Bauern gab, der ein eigenbehöriger Landbauer in der Mark Suddendorf und zugleich Bürger der Stadt Schüttorf war, obgleich er nicht mehr in der Stadt Schüttorf wohnte und dort auch kein Haus mehr sein Eigen nannte. Eigentlich zwei unabdingbare Voraussetzungen, überhaupt Bürger der Stadt Schüttorf zu sein.

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Die Steinstraße mit Blick auf dea alte Wohn- und Geschäftshaus der Familie Rost. Hier soll bis 1796 die Hofstelle der Familie Hummert gestanden haben.

Diese besondere Stellung wirkte sich auch auf die spätere Markgrenzen zwischen der Stadt Schüttorf und der Landgemeinde Suddendorf aus. Verlief die Stadtgrenze im Süden entlang dem Landwehrgraben, so machte sie an der Ohner Straße einen kleinen Bogen nach Süden und verlauft mitten durch die heute Hofstelle. Damit liegt der Hof Hummert wieder in der Stadt Schüttorf und die Bauerm Hummert sind wieder vollwertige Bürger der Stadt.

ENDLICH FREIER BAUER

Mitte des 19. Jahrhunderts schuf des hannoversche Ablösegesetz die Möglichkeit, dass  eigenbehörige Bauern sich aus ihrer Verpflichtung die ihrem Gutsherren gegenüber herauskaufen konnten. 1848/49 gelang es dem Bauern Humbers sich mit der Zahlung von fast 800 Talern und 150 holländischen Gulden aus seiner Eigenbehörigkeit zu befreien und fortan bis heute als freier Bauer seinen Hof bewirtschaften zu können.

EINE DER ÄLTESTEN FAMILIEN

Stellt sich hier nun auch die Frage, ob nicht nur der Humbert Hof zu den ältesten Höfen der Stadt Schüttorf zählte, sondern auch die Familie Hummert zu den ältesten Bürgern unserer Stadt. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Der Humbert Hof war ja ein Erbhof, dessen Nießbrauchrechte an Hausbesitz sowie Grund und Booden an den ältesten Sohn vererbt werden konnte. Nun gab es nicht zu jeder Zeit einen männlichen Erben, so dass entweder die erbberechtigte Tochter heiraten musste, um mit ihrem Ehemann den Hof weiterführen zu können. Der Ehemann der Tochter nahm dann in der Regel den Hofnamen an und nannte sich dann auch Humbert. So hieß der oben genannte Dirk Humbers mit Geburtsnamen Kiwitt und stammte wohl aus Samern. Ob er jedoch mit der Christina Humbers verheiratet war, ist  nicht dokumentiert. Er hatte aber mit Christina drei Kinder, die alle den Familiennamen Humbers trugen. Es ist also davon auszugehen, dass Dirk Kiwitt ebenfalls den Hofnamen Humbers als seinen neuen Familiennamen angenommen hat, um das Erbe antreten zu können.

Auch wurde bei kinderloser Ehe auch nahe oder entfernte männliche Verwandte an Sohnesstatt angenommen, um das Erbe zu sichern. Sicher scheint aber zu sein, dass die Erbfolge des Hummert Hofes nie so richtig unterbrochen wurde, so dass man die heutige Familie Hummert durchaus als eine der ältesten Familien Schüttorfs bezeichnen kann.

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Der Hof Hummert von der Ohner Straße her gesehen. Aufnahme um 1951.

EINE FAMILIEN MIT VERSCHIEDENEN NAMEN

Bleibt noch anzumerken, dass auch der Familienname in Laufe der Zeit einigen Wandlungen unterlag: Humberdinck (bis 16. Jahrhundert), Humbers oder Humbert(s) (bis ins 19. Jahrhundert), Hummert (20. Jahrhundert). Teilweise wurden in Urkunden aus der selben Zeit auch verschiedene Namen gleichzeitig verwendet.

Quellen u.a.: H. Voort, Die Aussiedlung eines städtischen Bauernhofes im 18. Jahrhundert: Humbert in Schüttorf, in: Bentheimer Jahrbuch 2007, D. Maschmeyer, Das bebaute Schüttorf, in 700 Jahre Stadtrechte Schüttorf 1295 bis 1995, Dr. Scheurmann, verschiedene unveröffentlichte Manuskripte Stadtarchiv Schüttorf. Berge, unveröffentlichte Manuskripte, ebenda, Schüttorfer Kirchenbücher in: www.genealogy,net.
Herzlich bedanken möchte ich mich bei Dietrich Hummert, der mir wichtige Informationen über die Geschichte seiner Familie zukommen ließ, einen kritischen Blick auf meinen Text geworfen und so machen Fehler dabei entdeckt hat. Sollte trotzdem der eine oder andere Fehler oder eine Ungenauigkeit übriggeblieben sein, so ist dass allein von mir zu verantworten. Auch Rainer Harmsen gilt mein Dank für den Hinweis auf die Online-Suche in den Schüttorfer Kirchbüchern. Ich kann die Seite www.genealogy,net nur weiterempfehlen.
Fotos: privat Hummert, privat Schrader, Stadtarchiv Schüttorf